Ich komm mit dem Elend der Welt nicht mehr klar

Für alle Einstellungen, die einfach mal "raus" müssen - egal ob Ängste, Sorgen oder überschäumendes Glück: Schreit es heraus!
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Moderator: Momabo

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AnnSophie
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Re: Ich komm mit dem Elend der Welt nicht mehr klar

Beitrag von AnnSophie »

Hallo Blueberry,
du hast noch einen gut bei mir:
Blueberry hat geschrieben:
AnnSophie hat geschrieben: Auf der Objektebene ist die Welt für alle die gleiche...
Hm, bist Du sicher? (Na klar bist Du sicher, bist schliesslich ein Wassermann, gell! :mrgreen: ), wenn ja, woher weisst Du das, dass die Welt auf der Objektebene für alle die gleiche ist?

Grüssle
blueberry
Du schreibst es selbst weiter oben: "Damit eine Erfahrung erfahrbar wird, muss gleichzeitig irgendwo deren Gegenteil existieren. " ;)

Unsere Wahrnehmung, Gefühle und Bewertungen sind alle individuell und subjektiv. Ein materialisierter Tisch bleibt ein Tisch, unabhängig davon ob wir ihn so benennen, dagegen laufen oder nicht.

"Nehmen wir tatsächlich alle dasselbe Elend wahr, oder gibt es eventuell auch Leute, die kein Elend (und dafür andere Dinge) wahrnehmen? Wenn ja, was für Leute wären das? "

"Elend" ist eine (Be-)Wertung, damit individuell. Für mich gibt es "Teflon"-Menschen, die so abgegrenzt von den anderen sind, dass sie sich gar nicht in den anderen hineinversetzen können und/oder wollen.

2 Interessante (sehr subjektive) Geschichten über Maria und Josef bei den Reichsten und Ärmsten in Deuschland:
http://www.zeit.de/2011/52/DOS-Maria-und-Josef/
http://www.zeit.de/2012/52/Maria-Josef-Neukoelln/

Oder wissenschaftlich:
In mehreren Studien haben Psychologen der University of California erforscht, ob Arme hilfsbereiter sind als Reiche, Außenseiter mitfühlender als Etablierte. Sie zeigten Probanden Bilder krebskranker Kinder und maßen dabei deren Puls. Sie ließen beiläufig Stifte fallen, um zu schauen, wer sie aufhob. Sie baten Gesprächsgruppen, 5.000 Dollar untereinander zu teilen. Die Ergebnisse waren immer ähnlich: Das Einfühlungsvermögen der Menschen mit niedrigerem sozialem Status war größer. »Personen aus unteren sozialen Schichten sind im Alltag stärker auf Kooperation angewiesen als Menschen aus reichen Haushalten«, folgerte Studienleiter Michael Kraus. Da sie selber Sorgen kennen, »entwickeln sie ein besseres Gespür für die Emotionen ihrer Mitmenschen«. "

Und das passt dann irgendwie auch wieder zum schönen Hesse-Zitat von Mona,

AnnSophie
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Blueberry
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Re: Ich komm mit dem Elend der Welt nicht mehr klar

Beitrag von Blueberry »

Hallo AnnSophie,
AnnSophie hat geschrieben: Unsere Wahrnehmung, Gefühle und Bewertungen sind alle individuell und subjektiv. Ein materialisierter Tisch bleibt ein Tisch, unabhängig davon ob wir ihn so benennen, dagegen laufen oder nicht.
Ich stelle mir die Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine "objektive Realität" gibt, will sagen, der Tisch, den Du wahrnimmst oder gegen den Du läufst, existiert natürlich in Deiner subjektiven Welt aber nicht unbedingt in der von jemand Anderem. Und wenn Dir ein Anderer bestätigt "Ja, da ist tatsächlich ein Tisch und es tut weh, wenn man dagegen läuft" ist das kein Beweis, sondern nur ein Zirkelschluss, da auch der "Andere" in diesem Fall eine Wahrnehmung von Dir ist. Existiert "etwas Anderes" oder "ein Anderer" ausserhalb Deiner Sinneswahrnehmung? Und wenn ja, würde dieser Andere dasselbe wahrnehmen wie Du? Würde Dein Tisch in seiner subjektiven Realität ebenfalls existieren?

Um noch mal auf's Elend zurückzukommen: Wie würden Lebensumstände, die ich im Vergleich zu meiner eigenen Situation als "Elend" bezeichne, von den Leuten bezeichnet, die darin leben? Würden diese Leute Elend wahrnehmen, bzw. ihre eigene Situation als solche bezeichnen? Oder würden sie vielmehr überall Opulenz wahrnehmen, als Kontrasthintergrund?

Ich glaube, es war Schopenhauer, der sagte: "Die Welt ist meine Vorstellung". Wenn sie das tatsächlich ist, führt das zu der Frage: warum stelle ich sie mir so vor, wie ich sie sehe und vor allen Dingen: warum beklage ich mich anschliessend darüber, dass der Kontrast etwas Anderes ist, als meine Lieblingsfarbe?

Grüssle
blueberry
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AnnSophie
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Re: Ich komm mit dem Elend der Welt nicht mehr klar

Beitrag von AnnSophie »

Liebe Blueberry,

"Die Welt ist meine Vorstellung." Im Ergebnis sicherlich, da meine Vorstellung mehrere Elemente hat. Stell Dir vor, Deine Welt wäre ein Haus:
Dann gibt es da ein Fundament - aus objektiven Fakten/Tatsachen (oft kaum sichtbar - und existent unabhängig davon ob ich's wahrnehme oder nicht),
es gibt das Mauerwerk - unserer subjektiven Wahrnehmung (sehen, fühlen, hören, schmecken, spüren) und die Bilder mit denen wir sie verbinden,
die Leitungen - unsere subjektiven Einstellungen (sozio-kulturell etc.)
die Fenster und Türen - unserer subjektiven Gefühle
und das Dach unserer subjektiven (Be-)Wertungen -
und alles zusammen ist deine Welt, deine Vorstellung und dein Elend ein paar Deiner Dachziegel.

Ich verdiene meine Brötchen damit u.a. damit im interkulturellen Kontext Software zu entwerfen, dabei merk' ich immer wieder, wie "klein" (und sozio-kulturell geprägt) der größte gemeinsame Nenner des objektiven Fundaments der Fakten ist und wie viel fast alles subjektiv ist, er aber durchaus existiert.
In diesem Zusammenhang ist es auch spannend, wie man das Fundament des Objektiven vergrößern, stabilisieren bzw. sonst wie stärken kann. Auch deshalb mein Tipp mit der Wahrnehmung, mal als gemeinsames Spiel wirklich nur objektive Fakten zu besprechen, wenn Du was beschreibst (wie wenig und dürr das ist).

Das, was für Dich oder mich Elend ist, ist es für jemand anderes nicht, da sind die Bewertungen und Bezeichnungen sehr unterschiedlich und subjektiv. Ziemlich sicher ist das, was für uns Elend ist, für 80% der Weltbevölkerung eins: nämlich unvorstellbarer Luxus.

Der Begriff "Elend" ist ganz klar subjektiv. Objektiv ist z.B. ein Tisch, die Gravitationskraft...

Wie könnte die Welt denn funktionieren, wenn sie nur subjektiv wäre? Und wozu stellst Du Dir das so vor?

Viele Grüße,
AnnSophie
Das Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.
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Blueberry
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Re: Ich komm mit dem Elend der Welt nicht mehr klar

Beitrag von Blueberry »

Liebe AnnSophie,
AnnSophie hat geschrieben: Wie könnte die Welt denn funktionieren, wenn sie nur subjektiv wäre? Und wozu stellst Du Dir das so vor?
Sie funktioniert wie eine Art interaktives und dreidimensionales Videospiel (Titel: Leben auf der Erde), das mir eine Bühne präsentiert, auf der ich spielen darf. Wie bei einem Videospiel habe ich eine Spielfigur (=mein Körper aus Fleisch und Blut), und das Dekor (=wahrgenommene Welt) ergibt sich aus den Gedanken, Empfindungen, Worten und Handlungen meiner Spielfigur.
Ich bin der Spieler und nicht die Spielfigur. Aber wenn ich mich zu stark mit meiner Spielfigur identifiziere, vergesse ich, wer ich wirklich bin. In der Folge halte ich die von meiner Spielfigur wahrgenommene Welt für eine objektive Realität. Und vor allen Dingen bin ich überzeugt davon, dass es sich dabei um die einzige Realität handelt: Ein Spieler, der sich mit seiner Spielfigur verwechselt ist sich nicht bewusst darüber, dass es neben ihm auch noch andere Spieler gibt, die ebenfalls mit einer Spielfigur das Videospiel "Leben auf der Erde" ausprobieren und dabei in Folge der Gedanken, Empfindungen, Worte und Taten ihrer eigenen Spielfigur vielleicht eine ganz andere wahrgenommene (Spiegel-)Welt erfahren dürfen.

Und wozu das Ganze?
Tja, was ist der Sinn des Lebens? :mrgreen:
Warum gibt es "Elend" auf der Ebene der Spielfigur?
Oder auch "Krankheit", "Katastrophen", "Kriege" und diverse Bösewichte der Geschichte?
Welches Interesse hat ein Spieler daran, seine Spielfigur diese ganzen schrecklichen Dinge sehen oder sogar erleben zu lassen?

Grüssle
blueberry
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